Fuchs, Hase und die Weltkoordinaten

Im Juni waren wir da, wo sich der Hase und der Fuchs gute Nacht sagen. Beide kamen uns auf einen Sandweg entgegen. Kurze Zeit später lag Piefke neben dem Atari. Er beschäftigt sich mit dem gekoppelten Chaos, der Ausbreitung von Masern in einem Kinderheim und mit Luchsen und Hasen.

Am gekoppelten Chaos arbeiten wir täglich. Für die Ausbreitung von Masern in der mathematischen Literatur habe ich nur die Erklärung, dass Piefke’s Computertastatur mit den Taststaturen von Becker und Dörfler zusammen in einem Heim waren. Als der Maser-Virus ausbrach und eine Tastatur nach der anderen erkrankte, suchten die Väter nach einer Beschreibung der Krankheit. Die medizinische Beschreibung der Krankheit stuften sie als falsch ein und steckten die „richtige Beschreibung der Ansteckung“ in eine Gleichung. (BECKER, S.21)

Der Becker hängte eine große Tafel neben seinem Ladentisch. Am ersten Tag machte er jedes Mal einen Strich auf seine Tafel, wenn er von einem Kunden erfuhr, dass auch seine Tastatur im Heim erkrankt war. Nach Ladenschluss zählte er die Striche zusammen.

Am zweiten Tag, als der Dörfler seine Brötchen kaufen kam, wurde die Tafel geputzt und die Gleichung für die Beschreibung der Ansteckung ganz oben aufgeschrieben. Anschließend trugen sie das erste Tagesergebnis als Ausgangswert in die Formel ein. Sie rechneten eine Weile, dann standen die Neuerkrankungen für den zweiten Tag fest.

Auch am zweiten Tag führte der Becker seine Strichliste weiter. Am Abend rechnete er alles zusammen und verglich die Ergebnisse. Und tatsächlich. Die Vorhersage für das Tagesergebnis stimmte. Auch für die nächsten Tage wurden mit Hilfe der Formel die Tagesergebnisse vorausgesagt und Dörfler führte seine Strichliste. Die Männer im Dorf waren über diese Art der Vorhersage ganz erstaunt.

Das Heimpersonal vertraute eher seinem tradierten Wissen. Warum sollen sie darauf warten, dass alle Tastaturen nach und nach erkrankten? Besser ist es doch, wenn alle auf einmal erkrankten und der Spuk danach vorbei ist. Also steckten sie die vorhandenen Tastaturen in ein Bett - auch die eigenen und die der Verwandtschaft -und warteten ab.

Es kam der Tag, an dem auch die letzte Tastatur erkrankte und die Väter ihre Ergebnisse als Grafik auf die Tafel beim Becker präsentieren wollten. Der Becker und der Dörfler arbeiteten die ganze Nacht durch und am nächsten Tag wollten sie ihre Ergebnisse vorführen. Bei der Präsentation erschien das Bild ganz klein in der linken oberen Ecke der Tafel. Die beiden Väter waren damit überhaupt nicht zufrieden. Sie grübelten eine Stunde nach und fanden die Lösung. Mit Hilfe eines Transformators schafften sie es, dass das Bild ganz groß auf der Tafel zu sehen war. Sie waren von ihrer Erfindung so begeistert, dass sie die Tafel zur Welt erklärten.

Bei dem Versuch, die Grafik zu erklären, stellten sie fest, dass mehr Tastaturen erkrankt waren, als überhaupt im Heim angemeldet waren. Also fingen die Männer wieder an zu rechnen und wollten jeden einzelnen Tag rekonstruieren. Dabei brach ein fürchterliches Chaos aus.

Die Tastatur meines Mannes hatte vermutlich schon die Masern. Denn Piefke und er gingen daran, über die zeitlichen Schwankungen von Luchs und Hase in Verbindung mit dem Futterangebot zu arbeiten und mit der Zeit wurde der Luchs durch einen Fuchs ersetzt und wir suchten die Wohnung nach einem Bretterzaun ab. Jörg fand ihn kurz danach auf dem Bildschirm des Ataris und zur gleichen Zeit stieg die Population unseres Meerschweinchen M(uc)k um den Faktor M(oll)y an.

Aus lauter Freude über den Fund erklärte mein Mann seinen Bildschirm als „Fenster zur Welt“ und aus dem Bretterzaun wurden Weltkoordinaten und Wochen später verfolgte mich ein Fuchs, als ich abends auf meinem Fahrrad vom Platz am wilden Eber in Richtung Bessy fuhr.


G. K. 1992






Literatur:

BECKER, K., DÖRFLER, M.: Dynamische Systeme und Fraktale: Computergrafische Experimente mit Pascal. Braunschw./Wiesb., Vieweg Verlag 1989, 3. Ausgabe.

PIEFKE, F.: Simulationen mit dem Personalcomputer. Heidelberg, Hüthig Verlag 1991.

Die Neuköllner Luft

Seit wir in Neukölln wohnen, hat sich die Luft verändert. Viele Ofenheizungen wurden abgerissen und durch Fernheizungen ersetzt.

2005 schloss die Kindl-Brauerei auf dem Rollberg. Damit verschwand ein typischer Kiezgeruch.

Am 31. Oktober 2008 wurde nun auch der Flughafen Tempelhof geschlossen. Damit verschwanden nicht nur der Kerosin-Geruch, sondern auch die Geräusche der Flugzeuge.

Übrig geblieben sind neben den Autoabgasen nur noch der Schokoladengeruch und der Geruch von geröstetem Kaffee aus dem Neuköllner Industriegebiet.

G. K. 2008

Kneipenhunde

Auf dem Columbiadamm begegneten sich mehrere Hunde. Als sich die Tür einer Eckkneipe öffnete waren sie sich einig. Wir gehen jetzt einen heben und stürmten hinein.

Die, die draußen blieben, schauten sich nur fragend an. Bevor die Vierbeiner noch eine Bestellung aufgeben konnten, wurden sie von ihren Besitzern aus der Kneipe gezerrt.

G. K. 2007

Pause

Wir standen grüppchenweise auf dem Flur und vertrieben uns die Zeit. Der Kaffe war heute etwas zu stark geraten und ein Blick aus dem Fenster frischte unsere Laune auch nicht auf. Mein Kaffee ergoß sich auf der Fensterbank bei dem Versuch, diese als Sitzgelegenheit zu nutzen.

Die Fenster-Volutaristen kämpften gerade mit der braunen Flüssigkeit, als ein Grüppchen am anderen Ende des Flures merkwürdige, dennoch bekannte Bewegungsübungen vollzogen. Zuckungen der Finger ins Leere, Arme in Höhe der Schultern, die sich hin und her bewegten, leere Hände hauten auf etwas Imaginäres. Im Flur war es ruhig geworden. Jemand traf mit dem Rücken den Lichtschalter.

Bilder taten sich auf. Paul McCartney am Bass, Ringo Starr am Schlagzeug, Nigel Kennedy an der Violine. Lucille stand verschämt in der Ecke und wartete auf B.B. King. Aber dieser Tonausfall...

Joe Cocker schaffte den Sprung in die Wirklichkeit. Gesprächsfetzen waren zu hören und das ganze Szenarium löste sich in Luft auf.

G. K. 1991

Rabe Jakob

Es gibt Menschen die füttern Stadttauben. So ein Mensch ist unser Nachbar. Täglich füttert er bis zu 100 Tauben auf seiner Terrasse und in der Morgendämmerung ums Haus herum.

Im Frühjahr kommen Grünlinge, Spatzen und Stieglitze, im Winter Meisen, Habicht, Sperber und Wanderfalken dazu.

Letztes Jahr meinte eine Taube, sie müsse ihre Eier ausgerechnet in der Regenrinne vor unserer Terrasse ablegen. Die Elstern freuten sich darüber.

Dieses Jahr wollte ich etwas gegen die "hausgemachte" Taubenplage unternehmen. Auf der Suche nach einer Lösung entdeckte ich den natürlichen Feind der Taube: den Raben. Diesen gab es als Plastik-Attrappe in einem Baumarkt zu kaufen.

Ich radelte zum Baumarkt. Da sie die Vögel nicht vorrätig hatten, bestellte ich eine Attrappe.

Nach einer Woche war die gewünschte Lieferung auf Lager. Ich ging mit meinem Bestellschein zur Information. Die Frau am Stand suchte meine Bestellung heraus und gab mir eine Nummer. Sie erklärte mir, wo ich meinen Raben abholen konnte und fragte mich, ob ich auch an das Futter für den Vogel gedacht hätte.

Ich marschierte zum Hochregallager. Hier gab ich meine Nummer ab. Kurz danach hatte ich eine halboffene Kiste mit dem Raben in der Hand. Der Mann vom Lager lachte und meinte, dass er die Kiste öffnen musste, um den Vogel artgerecht zu versorgen.

Mit der Kiste unter dem Arm ging ich zur Kasse. Hier wünschte man mir viel Spaß mit dem Vogel.

Am anderen Tag befestigte ich den Raben auf dem Terrassengeländer. Die Tauben trauten sich auf einmal nicht mehr auf die Nachbar-Terrasse. Am darauffolgenden Tag flatterten sie schon wieder auf "Ihre" Terrasse. Am dritten Tag hatten sie das Spiel durchschaut und flogen provokativ über meinen Raben hinweg.

So nicht ihr Viecher!

Ich holte meinen Raben in die Wohnung und setzte ihn am anderen Tag wieder nach draußen, allerdings an einen anderen Platz. Nach einer anfänglichen Verwirrung flogen die Tauben am nächsten Tag wieder über den Raben.

G. K. 2005

Verkehrshindernisse

Hin und wieder stoßen wir auf den Straßen rund um Berlin auf Kuhherden, die auf dem Weg zur Weide oder in den Stall sind. Sie werden beschützt durch Menschen, die mit rot-weiß gestreiften Fahnen den vorbeikommenden Verkehr irgendwie regeln.

Genauso gesichert ist die Herde "Dreharbeiten". Hierbei laufen keine Kühe zwischen den Fähnchen schwenkenden Menschen herum sondern Kameras, Autos oder Fahrradfahrer, die dummerweise nicht so schnell sind wie Autos und während des Überholvorgangs bei plötzlichem Gegenverkehr unerwartet in die Filmszenen geraten.

G. K. 1995

Wallenstein

An einem Sonntag im September wollte ich mir die Wettbewerbsbeiträge zur zukünftigen Nutzung des Kindl-Geländes im Sudhaus der ehemaligen Kindl-Brauerei anschauen.

Ich ging die Karl-Marx-Straße entlang. Selbst an sonnigen Tagen wirkt diese Straße trist. Ramschläden, Kebabbuden, dazwischen Cafe-Shops, Fingernagelstudios und Handyläden. Billige Import-Schuhläden sind hier gerade in. Wie das Angebot so auch das Publikum. Einfach gekleidete Menschen mit und ohne Migrationshintergrund.

Ich bog in die Werbelinstraße ein. Die Sonne strahlte mir entgegen und ein Hauch von Parfümduft erfüllte die Luft. Auf dem Bürgersteig flanierten plötzlich gut gekleidete Menschen, die so ganz und gar nicht in das Stadtbild von Neukölln passten. In angenehmer Begleitung schlenderte ich zur alten Kindl-Brauerei.

Vor der Kindlhalle traf man sich. Auf dem Programm standen elf Stunden Wallenstein – Peter Steins Schiller-Marathon. Das wollte ich mir nicht antun.

Nachdem ich die Ausstellung besuchte, ging ich die Werbelinerstraße weiter hoch. Nun kam mir das Wallenstein-Publikum entgegen. Auf der Hermannstraße angekommen, war der Spuk vorbei.

Irgendwie erinnerte mich die Szenerie an die Harry-Potter-Bücher.

Wer die Werbelinstrasse besuchten möchte, muss „Zum Tropfenden Kessel“ gehen.

G. K. 2007

Kunstflieger

Wir wohnen in der Nähe des Flughafens Tempelhof. Je nach dem von wo der Wind kommt, können wir die Flugzeugmotoren hören.

Irgendwann im Mai mischten sich unter den gewohnten Flugzeugeräuschen ganz neue. Als ich aus dem Fenster schaute staunte ich nicht schlecht. Direkt über unserer Dachterrasse drehte ein Kunstflieger seine Runden. Als das kleine Flugzeug am anderen Tag wieder den Neuköllner Luftraum beschallte, ging ich zur Oderstraße. Von hier aus hat man einen herrlichen Blick auf das gesamte Flugfeld. Und tatsächlich, da tat sich etwas. Bauzäune wurden aufgestellt und große Teile der Wiesen wurden gemäht, obwohl die Lerchen noch brüteten.

Hier am Flugfeld erfuhr ich dann auch was los war. Auf dem Flughafengelände sollten die Weltmeisterschaften der Kunstflieger stattfinden. Oh, je! Wenn da nicht etwas passiert.

Die kleinen Maschinen waren die nächsten Tage ständig zu hören. Von unserem Wohnzimmerfenster aus konnten wir beobachten, wie sie steil nach oben in den Himmel schossen und nach einem Looping ebenso steil wieder zum Erdboden rasten.

Mir war das alles unheimlich. Ich hatte schlichtweg Angst. Aber das half mir auch nicht weiter.

Am 27. Mai war es dann soweit. Soll ich in der Wohnung bleiben und warten, dass so eine Kiste auf unserer Dachterrasse landet oder gleich in die Höhle des Löwen gehen?

Ich ging mit ca. 300 000 weiteren Zuschauern aufs Flugfeld.

10 Piloten zeigten ihr Können. Mit ca. 450 Stundenkilometer rasten sie durch einen 1400 m x 400 m großen Parcours auf dem knapp zwei Kilometer Durchmesser zählenden Flughafengelände.

Die Maschinen durchrasten die in nur 14 m Abständen aufgestellten Hindernisse und flogen dabei nur 20 m über dem Boden. Die 40 m hohen Hindernisse aus einem leichten Material waren luftgefüllt und konnten die Maschinen bei Berührung nicht gefährden.

Es ist nichts passiert!

Nach diesem Event ging es auf dem Flugfeld, direkt neben der Start- und Landebahn entlang zur Oderstraße.

G. K. 2006

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